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Rechtsstreitigkeiten: Wie viele Anwälte sind genug?

22.06.2012  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Bundesarbeitsgericht.

Im Betriebsverfassungsgesetz ist die Freistellung des Betriebsrates von Anwaltskosten verankert. Sollte der Betriebsrat, neben den mandatierten Anwälten, in Ausnahmefällen weitere Anwälte zu einem Verfahren hinzuziehen, so verfällt der Freistellungsanspruch. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Freistellung des Betriebsrats von Rechtsanwaltskosten, die dadurch entstanden sind, dass der Betriebsrat in Verfahren nach § 78a Abs. 4 BetrVG neben dem von ihm mandatierten Rechtsanwalt einen weiteren Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Interessen der Jugend- und Auszubildendenvertretung beauftragt hat.

(…)

Die Arbeitgeberin betreibt Kliniken in D und L sowie eine Ambulanz und Kinder- und Jugendpsychiatrie in B. Sie beschäftigt insgesamt ca. 2.700 Arbeitnehmer, darunter ca. 25 Auszubildende. Im Juli 2007 beantragte die Arbeitgeberin in mehreren Verfahren beim Arbeitsgericht die Auflösung der Arbeitsverhältnisse von fünf Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG. In den - erstinstanzlich rechtskräftig abgeschlossenen - Verfahren vertraten die Rechtsanwälte I & R den Betriebsrat, während die Rechtsanwälte W & A aufgrund eines Beschlusses des Betriebsrats vom 15. August 2007 in denselben Verfahren als Bevollmächtigte der Jugend- und Auszubildendenvertretung auftraten. Am 6. Dezember 2007 und 5. März 2008 richteten die Rechtsanwälte W & A insgesamt fünf Kostenrechnungen an den Betriebsrat. Die Arbeitgeberin weigerte sich, den Betriebsrat von diesen Kosten freizustellen.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er könne von der Arbeitgeberin nach § 40 Abs. 1 BetrVG die Freistellung von den durch die Beauftragung der Rechtsanwälte W & A entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangen. Er habe die gesonderte anwaltliche Vertretung der Jugend- und Auszubildendenvertretung für erforderlich halten dürfen. Das ergebe sich bereits daraus, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung im Verfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 2 BetrVG beteiligt sei. Außerdem hätten die Interessen der vom Betriebsrat repräsentierten Belegschaft und die Interessen der Jugend- und Auszubildendenvertretung nicht übereingestimmt. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung habe eine dauerhafte Übernahme ihrer Mitglieder angestrebt. Der Betriebsrat habe dagegen die vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten auch für die befristet Beschäftigten berücksichtigen wollen, deren Verträge ausliefen.

(…)

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hat Erfolg. Der zulässige Antrag des Betriebsrats ist unbegründet. Dem Betriebsrat steht gegenüber der Arbeitgeberin kein Anspruch nach § 40 Abs. 1 BetrVG auf Freistellung von Kosten zu, die durch die Beauftragung der Rechtsanwälte W & A mit der Vertretung der Jugend- und Auszubildendenvertretung in den Verfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG entstanden sind.

In dem Verfahren sind nach § 83 Abs. 3 ArbGG neben dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin keine weiteren Personen oder Stellen zu hören. Auch die Jugend- und Auszubildendenvertretung ist nicht beteiligt. Sie gehörte zwar nach § 78a Abs. 4 Satz 2 BetrVG zu den Beteiligten der Ausgangsverfahren, in denen die hier streitbefangenen Kosten entstanden sind. Dies gilt jedoch nicht für vorliegendes Verfahren. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung ist kein selbständiges Mitwirkungsorgan der Betriebsverfassung. Sie wird auch durch den Streit, ob die Arbeitgeberin die durch die gesonderte Beauftragung der Rechtsanwälte entstandenen Kosten zu tragen hat, nicht in einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen (vgl. dazu auch BAG 30. März 1994 - 7 ABR 45/93 - zu B I 3 a der Gründe, BAGE 76, 214). Die Verpflichtung, um die gestritten wird, ist nicht die Jugend- und Auszubildendenvertretung, sondern der Betriebsrat eingegangen.

Der Antrag ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts unbegründet. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung der Rechtsanwaltskosten, die durch die gesonderte Beauftragung der Rechtsanwälte W & A mit der Vertretung der Jugend- und Auszubildendenvertretung entstanden sind. Er durfte diese Beauftragung nicht für erforderlich halten.

Nach § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Hierzu gehören auch die Honorarkosten für einen Rechtsanwalt, dessen Heranziehung der Betriebsrat in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren in Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte für erforderlich halten durfte. Die Prüfung der Erforderlichkeit hat der Betriebsrat nicht allein anhand seiner subjektiven Bedürfnisse vorzunehmen. Er ist vielmehr gehalten, die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts einerseits und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers andererseits gegeneinander abzuwägen. Der Betriebsrat darf bei der Wahl seiner Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung das Interesse des Arbeitgebers an der Begrenzung seiner Kostentragungspflicht nicht außer Acht lassen. Er hat wie jeder, der auf Kosten eines anderen handeln kann, die Maßstäbe einzuhalten, die er gegebenenfalls bei eigener Kostentragung anwenden würde, wenn er selbst bzw. seine beschließenden Mitglieder die Kosten tragen müssten. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers entfällt bei einer offensichtlich aussichtslosen oder mutwilligen Rechtsverfolgung des Betriebsrats. Offensichtlich aussichtslos ist die Rechtsverfolgung, wenn die Rechtslage unzweifelhaft ist und das eingeleitete Beschlussverfahren zu einem Unterliegen des Betriebsrats führen muss. Mutwilligkeit kann vorliegen, wenn das Interesse des Arbeitgebers an der Begrenzung seiner Kostentragungspflicht missachtet wird.

(…)

Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Freistellung von den im Antrag bezeichneten Rechtsanwaltskosten, die durch die Bestellung zusätzlicher Verfahrenbevollmächtigter für die Jugend- und Auszubildendenvertretung in fünf Verfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG entstanden sind. Der Betriebsrat durfte neben dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt die Mandatierung eines weiteren Rechtsanwalts zur Vertretung der Interessen der Jugend- und Auszubildendenvertretung im Sinne von § 40 Abs. 1 BetrVG nicht für erforderlich halten. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass nur ein gesondert beauftragter Rechtsanwalt in der Lage war, in diese Verfahren zur Wahrung der Interessen der Jugend- und Auszubildendenvertretung rechtliche Gesichtspunkte einzubringen, die geltend zu machen der vom Betriebsrat mandatierte Rechtsanwalt nicht bereit oder in der Lage war. Eine besondere Situation, in der der Betriebsrat möglicherweise die Mandatierung eines weiteren Rechtsanwalts ganz ausnahmsweise für erforderlich hätte halten dürfen, lag nicht vor. Der Umstand, dass der Betriebsrat nicht nur die Kontinuität der Jugend- und Auszubildendenvertretung, sondern auch die Interessen der zur Belegschaft gehörenden befristet Beschäftigten zu berücksichtigen hatte, machte die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwalts nicht erforderlich.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.01.2012, AZ 7 ABR 83/10 (in Auszügen)


PS: Praxis-Informationen über die Betiebsvereinbarung »

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