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Voraussetzungen für Verwertungskündigung wegen Modernisierung und Sanierung

10.09.2024  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: IBR Immobilien & Baurecht.

Die Umgestaltung einer Wohnung kann dem Wegfall einer Wohnung nur dann gleichgestellt werden mit der Folge, dass ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Betracht zu ziehen ist, wenn die Wohnung durch die Umgestaltung in ihrem grundlegenden Charakter wesentlich verändert wird. (LG Lübeck, Beschluss vom 26.06.2024 - 14 S 38/24)

LG Lübeck, Beschluss vom 26.06.2024 – 14 S 38/24

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BGB § 573 Abs. 2 Nr. 3, § 573 Abs. 3 Satz 1, 2, § 574 Abs. 2

  1. Die Angabe der Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses sind Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung. Zweck des Begründungserfordernisses ist es, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn so in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen.
  2. Bei der Frage, ob ein Vermieter durch die Fortsetzung eines Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird, darf nicht allein darauf abgestellt werden, ob eine bewohnte Wohnung der Durchführung der angestrebten Verwertung entgegensteht. Vielmehr muss auch geklärt werden, ob es den Parteien möglich und zumutbar gewesen wäre, den Mieter vorübergehend in einer alternativen Unterkunft unterzubringen.
  3. Die Umgestaltung einer Wohnung kann dem Wegfall einer Wohnung nur dann gleichgestellt werden mit der Folge, dass ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Betracht zu ziehen ist, wenn die Wohnung durch die Umgestaltung in ihrem grundlegenden Charakter wesentlich verändert wird. Dies bedarf einer grundsätzlichen Veränderung des Wohnungszuschnitts und der Wohnqualität, die über eine reine Modernisierung hinausgeht. Nicht ausreichend dürften daher - auch in der Gesamtschau - geringfügige Grundrissänderungen und Änderungen von (Balkon-)Türen, Erneuerungen von Bädern bzw. Küche oder die Förderung der Barrierefreiheit sein.
LG Lübeck, Beschluss vom 26.06.2024 - 14 S 38/24

Tenor

I. Der Antragstellerin wird für den zweiten Rechtszug mit Wirkung ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Rechtsanwalt ... wird als Prozessbevollmächtigter zu den Bedingungen eines in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet (§§ 121 Abs. 1, 121 Abs. 3 ZPO).
Die Bewilligung erfolgt ohne Anordnung von Zahlungen.

II. Die Beklagte wird in die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung wieder eingesetzt.

Gründe

I.

Die Beklagte begehrt nach Verurteilung in erster Instanz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen das Räumungsbegehren der Klägerin in der Berufungsinstanz.

Die Beklagte bewohnt aufgrund des mit der Klägerin geschlossenen Dauernutzungsvertrags vom 20.11.2017 die Wohnung im 1. OG links in dem Objekt ...in ... L.. Mit Schreiben vom 30.8.2023 kündigte die Klägerin das Dauernutzungsverhältnis zum 31.5.2023 gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen Modernisierung und Sanierung der Wohnanlage für einen Zeitraum von planmäßig ca. 18 Monaten. Im bewohnten Zustand sei eine Sanierung bzw. Modernisierung der Bausubstanz nicht möglich - was zwischen den Parteien unstreitig ist. Insbesondere würde eine komplette Erneuerung der Küchen und Bäder erfolgen, wobei Veränderungen der Wohnungsgrundrisse vorgenommen würden, da die Bäder vergrößert werden sollten. Zudem solle eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse zu nahezu barrierefreien Nutzung erfolgen. Bezüglich des weiteren Inhalts der Kündigung wird auf Anlage K 2 Bezug genommen. Unter anderem mit E-Mail vom 7.9.2022 bot die Klägerin der Beklagten Alternativwohnungen und im Rahmen von Verhandlungen auch ein Umzugspaket an. Mit E-Mail vom 17.10.2022 widersprach die Beklagte der Kündigung und wandte im Wesentlichen eine nicht hinzunehmende Härte nach § 574 Abs. 2 BGB ein.

Das Amtsgericht Lübeck hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung führt das Amtsgericht insbesondere aus, das Kündigungsschreiben genüge den formellen Voraussetzungen nach § 573 Abs. 3 S. 1 BGB. Aus dem Kündigungsschreiben ergebe sich, warum sich die Vermieterin durch den Bestand des Mietverhältnisses an der Durchführung der von ihr beabsichtigten Sanierungs- bzw. Modernisierungsarbeiten gehindert sehe und welche konkreten Nachteile ihr drohten, wenn sie von der beabsichtigten Verwertung Abstand nehme. Die beabsichtigten Modernisierungsmaßnahmen seien konkret dargelegt (Bl. 314 d.A.). Der Bestand des Mietverhältnisses verhindere die geplante Verwertung. Da mit den Umbauarbeiten eine Erneuerung der Küche und Bäder sowie eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse zu einer nahezu barrierefreien Nutzung vorgenommen werde, sei die Wohnung der Beklagten nach der Sanierung in der jetzigen Gestalt nicht mehr vorhanden. Das Mietverhältnis hindere die geplante Verwertung außerdem, weil die Modernisierungs- bzw. Sanierungsmaßnahmen so umfangreich seien, dass sie bei Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses nicht durchgeführt werden könnten (Bl. 315 d.A.). Ohne die Sanierung entstünde der Klägerin ein erheblicher Nachteil (Bl. 315 f. d.A.). Der von der Beklagten eingelegte Widerspruch aufgrund persönlicher Härte stehe der Kündigung nicht entgegen (Bl. 316 ff. d.A.).

II.

Die beantragte Prozesskostenhilfe war in der ausgesprochenen Form zu bewilligen (1. und 2.) und die Beklagte in die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung wieder einzusetzen (3).

1. Gründe zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen: Die Antragstellerin ist nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Raten oder Einmalzahlungen aus dem Vermögen oder Einkommen sind der Antragstellerin nach den getroffenen Feststellungen nicht möglich.

2. Allgemeine Gründe
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Die mit Schreiben vom 30.8.2023 ausgesprochene Kündigung dürfte formell wirksam sein (a.). In materieller Hinsicht dürften die in der Kündigung angegebenen Kündigungsgründe den Anforderungen an eine Verwertungskündigung nicht genügen, soweit der Bestand des Dauernutzungsverhältnisses gegen die Durchführbarkeit der von der Klägerin angestrebten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorgebracht wird (b.). Soweit die Kündigung auf eine Veränderung des Wohnungsgrundrisses und damit dem Wegfall des Objekts gestützt wird, wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu erörtern sein, inwieweit sich dieser Umstand als Grund in der Kündigung widerspiegelt und welchen Umfang die Veränderungen haben (c.). Darüber hinausgehende, nachträglich vorgebrachte Kündigungsgründe dürften gemäß § 573 Abs. 3 S. 2 BGB als Kündigungsgründe ausscheiden (d.).

a. Die ausgesprochene Kündigung dürfte formell wirksam sein.
Insbesondere sind nach § 573 Abs. 3 S. 1 BGB die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters i.S.v. Absatz 2 in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Die Angabe der Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses sind Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung (BGH vom 9.2.2021, Az. VIII ZR 346/19). Zweck des in § 573 Abs. 3 S. 1 BGB enthaltenen Begründungserfordernisses ist es, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn so in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen (BGH vom 25.10.2023, Az. VIII ZR 147/22).
Aus dem Kündigungsschreiben ergeben sich die für eine Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB wesentlichen Aspekte, wobei es eine Frage der materiellen Wirksamkeit ist, inwieweit diese Aspekte im Einzelnen zutreffen oder bereits in dem Kündigungsschreiben angelegt sind und deshalb als Kündigungsgrund zu berücksichtigen sind.

b. Soweit als Kündigungsgrund der Bestand des Dauernutzungsverhältnisses gegen die Durchführbarkeit der von der Klägerin angestrebten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorgebracht wird, dürfte dies den Anforderungen an eine Verwertungskündigung nicht genügen.

  • i. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses insbesondere dann vor, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.
    Bei der Frage, ob ein Vermieter durch die Fortsetzung eines Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird, dürfte nicht allein darauf abzustellen sein, ob eine bewohnte Wohnung der Durchführung der angestrebten Verwertung entgegensteht. Vielmehr ist auch zu bewerten, ob das Mietverhältnis als solches einer Durchführung der Arbeiten entgegensteht. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Mieter nicht bereiterklärt, seine Wohnung vorübergehend zu räumen oder eine vorübergehende Räumung oder eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu angepassten Konditionen aus anderen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sind (LG Köln vom 12.1.1989, Az. 1 S 415/88; LG Stuttgart vom 28.9.1989, Az. 16 S 134/89; LG Freiburg vom 21.12.1978, Az. 3 S 126/78; Börstinghaus, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 573 Rn. 171; Tiedemann, in: PK-BGB, 10. Aufl. 2023 Stand 20.6.2024, § 573 Rn. 166; Häublein, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, § 573 Rn. 126).
    Die vorübergehende Räumung der Mietsache muss dem Vermieter insbesondere in finanzieller Hinsicht zumutbar sein. I.R.d. Zumutbarkeit kommt es auf die Dauer der Unterbringung und auf die Relation der Unterbringungskosten zu den reinen Modernisierungskosten an (LG Stuttgart a.a.O.; Börstinghaus, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 573 Rn. 171).
  • ii. Sowohl die Klägerin als auch die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts beschränken sich bei der Bewertung, ob eine Hinderung der Verwertung vorliegt, auf die Auswirkungen der streitgegenständlichen Wohnung in bewohntem Zustand. Die Frage, ob es den Parteien möglich und zumutbar gewesen wäre, die Beklagte vorübergehend in einer alternativen Unterkunft unterzubringen, ist in dem Verfahren bislang nicht erörtert worden.
    Eine derartige Erörterung dürfte auch in der Berufungsinstanz nicht nachzuholen sein, weil es sich bei dieser Frage um einen separaten Kündigungsgrund handelt, der - obschon im Kündigungszeitpunkt vorliegend - in der Kündigung vom 30.8.2022 keine Erwähnung findet und deshalb nach § 573 Abs. 3 S. 2 BGB nicht zu berücksichtigen ist.

c. Soweit das Amtsgericht seine Entscheidung auch darauf stützt, die Kündigung lasse sich mit einer Veränderung des Wohnungsgrundrisses und damit dem Wegfall des Objekts begründen, wird dem im Rahmen des Hauptsacheverfahrens nachzugehen sein.
Eine Verwertungskündigung ist zulässig, wenn ein Mietobjekt durch beabsichtigte Sanierungsmaßnahmen wegfällt (BayObLG vom 17.11.1983, Az. ReMiet 1/83; LG Frankenthal, a.a.O.). Die Umgestaltung einer Wohnung unter Veränderung des Grundrisses wird einem Wegfall des Mietobjekts gleichgesetzt, wenn der Grundriss so wesentlich verändert wird, dass nicht mehr von demselben Mietobjekt gesprochen werden kann (Börstinghaus, in: Schmidt-Futterer, a.a.O., § 573 Rn. 171), wobei eine Veränderung des Zuschnitts nicht für ausreichend erachtet wird (LG Frankenthal, a.a.O.). Ein konkreter Maßstab, wann eine wesentliche Veränderung einer Wohnung vorliegt, ist weder in Rechtsprechung noch Literatur etabliert.
Die Kammer ist nach vorläufiger Bewertung der Auffassung, dass die Umgestaltung einer Wohnung dem Wegfall einer Wohnung nur dann gleichgestellt werden kann, mit der Folge, dass ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Betracht zu ziehen ist, wenn die Wohnung durch die Umgestaltung in ihrem grundlegenden Charakter wesentlich verändert wird. Dies dürfte einer grundsätzlichen Veränderung des Wohnungszuschnitts und der Wohnqualität bedürfen, die über eine reine Modernisierung hinausgeht. Nicht ausreichend dürften daher - auch in der Gesamtschau - geringfügige Grundrissänderungen und Änderungen von (Balkon-)Türen, Erneuerungen von Bädern bzw. Küche oder die Förderung der Barrierefreiheit sein.
Im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens können die Fragen jedoch nicht beantwortet werden, ob der Kündigungsgrund des Wegfalls des Objekts in hinreichendem Maße in der Kündigung vom 30.8.2022 angelegt ist oder ob er nach § 573 Abs. 3 S. 2 BGB nicht zu berücksichtigen ist, und ob die konkret die streitgegenständliche Wohnung betreffenden Maßnahmen die Wohnung der Beklagten in ihrem grundlegenden Charakter wesentlich verändern.

d. Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass sich das Hauptsacheverfahren auf die vorstehend beschriebenen Aspekte der Kündigung beschränken dürfte.
Etwaige weitere Kündigungsgründe dürften nach § 573 Abs. 3 S. 2 BGB nicht zu berücksichtigen sein. Die Berücksichtigung nachträglich entstandener Gründe setzt voraus, dass die ausgesprochene Kündigung schon in ihrer ursprünglichen Form wirksam war. Die Anwendbarkeit ist auf Fälle beschränkt, in denen ein zunächst gegebener, möglicherweise aber später weggefallener Kündigungsgrund nachträglich durch einen anderen ersetzt oder ergänzt wird. Demgegenüber führt eine wegen Fehlens der Voraussetzungen von Anfang an unwirksame Kündigung auch dann nicht zu einer Vertragsbeendigung, wenn nach ihrem Ausspruch neue Kündigungsgründe entstehen (BGH vom 25.10.2023, Az. VIII ZR 147/22).

2. Aufgrund der stattgebenden Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe war die Beklagte in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist wiedereinzusetzen (BGH vom 28.5.2020, Az. III ZB 57/19).

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