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Variante von Amerikas „Geburtsurkunde“ in der UB München

04.07.2012  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München.

Dass Amerika Amerika heißt, hat die Welt nicht zuletzt Martin Waldseemüller zu verdanken. Nun stieß die Universitätsbibliothek (UB) München in ihren Beständen auf ein bislang unbekanntes Stück aus der Werkstatt des berühmten Kartographen – per Zufall.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahre 2007 die berühmte Weltkarte Martin Waldseemüllers (ca. 1470 – 1522) in Washington offiziell übergab, nannte sie das „ein schönes Zeichen der besonders engen deutsch-amerikanischen Freundschaft“. Schließlich ging es dabei um einen Akt von starker Symbolkraft: Die Karte – damals genau 500 Jahre alt – ist gleichsam die Geburtsurkunde Amerikas. Erstmals überhaupt findet sich die Neue Welt mit der Bezeichnung „America“ darauf dargestellt – als Reverenz an den Seefahrer Amerigo Vespucci (1451 – 1512), den Waldseemüller irrtümlich für den Entdecker des Kontinents hielt.

Heute ist das Stück, das auf der Weltdokumentenliste der Unesco steht, in der Library of Congress in Washington zu sehen. Dafür musste das Objekt mit der Nummer 01301 im Übrigen 2001 auf Weisung des Bundeskanzleramtes eigens aus der Liste der besonders geschützten deutschen Kulturgüter gestrichen und für Verkauf und Export freigegeben werden.

Mindestens ebenso bahnbrechend für die Geographie seiner Zeit wie die drei Quadratmeter große Karte waren die weitaus kleineren sogenannten Globussegmentkarten Waldseemüllers. Wie auf einem Bastelbogen stellen sie die Welt aufgeteilt in zwölf lamellenartige Segmente dar, die oben und unten spitz zulaufen. Aufgefaltet ergeben die Streifen einen kleinen Globus von etwa elf Zentimeter Durchmesser. Und in den drei rechten Teilen zeigt die Karte ein riesiges Festland in Form eines Bumerangs inmitten des riesigen Meeres. Auf dem Globus liegt America dann weit im Westen, weit übers Meer, von Europa und Afrika aus gesehen.

Ein Medienpaket für ein neues Weltbild

Überhaupt war es ein regelrechtes Medienpaket, mit dem der Kartograph und sein Gelehrtenkollege Matthias Ringmann vom lothringischen Kloster Saint-Dié-des-Vosges aus das damalige Weltbild revolutionieren wollten. Neben den großen Kartenblättern gehörten dazu die „Cosmographiae Introductio“, ein Fachbuch zur Einführung – und eben die Globussegmentkarten.

Von den jeweils mutmaßlich 100 Exemplaren, die sich mit den hölzernen Druckstöcken herstellen ließen, sind nur eine Handvoll Exemplare erhalten. Von der Weltkarte ist lediglich das Exemplar in Washington bekannt, das zuvor in Deutschland im Besitz des Adelshauses zu Waldburg-Wolfegg und Waldsee war. Ein Exemplar der „Cosmographiae Introductio“ zählt zu den Schmuckstücken der Münchner UB.

Von den Globussegmentkarten kannte die Fachwelt bislang nur vier Exemplare, jeweils eines befindet sich in Minneapolis, Offenburg und in der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Ein weiteres kam im Jahre 2005 bei Christie’s für eine Million US-Dollar unter den Hammer. Nun haben Mitarbeiter der UB ein fünftes gefunden – durch reinen Zufall.

„Im Vergleich mit den schon bekannten Exemplaren weist das nun entdeckte Stück einige Varianten auf und darf somit als unikal gelten“, sagt Sven Kuttner, der in der UB die Abteilung Altes Buch leitet. Die Einfassungen der oberen Lamellenhälften beispielsweise sind weitaus weniger markant eingezeichnet. Die Lage von Calicut an der Malabarküste, wo Vasco da Gama (1469 – 1523) im Mai 1498 gelandet war, befindet sich im vierten, nicht im fünften Kartensegment. Auch die Schraffuren und einzelne Buchstaben sind anders gestaltet. Außerdem lässt das Wasserzeichen im Papier laut Kuttner vermuten, „dass das Münchner Exemplar einige Zeit nach dem Erstdruck von 1507 im elsässischen Raum entstanden sein dürfte“.

Reise durch die Jahrhunderte

Das Druckwerk hat offenbar eine lange Reise durch die Jahrhunderte zurückgelegt. Und diese Geschichte ist mindestens ebenso kurios wie die der Entdeckung und Erforschung der Neuen Welt. Das vorerst letzte Kapitel begann vor wenigen Tagen in der Münchner UB. Mitarbeiterinnen der Bibliothek arbeiteten an der Korrektur der Kataloge. Dabei haben sie den sensationellen Fund gemacht: In einem unscheinbaren Bibliothekseinband aus dem 19. Jahrhundert entdeckten sie auf einer Doppelseite die etwa DIN A4 große Karte – zwischen zwei Drucken zur Geometrie aus dem frühen 16. Jahrhundert, ohne inhaltlichen, allenfalls mit einem zeitlichen Bezug also. Die Bedeutung der Waldseemüllerschen Karte hätten die Bibliothekare im 19. Jahrhundert jedenfalls nicht erkannt, sagt Kuttner; die Globusstreifen waren auch erst 1871 in der Hauslab-Liechtenstein-Bibliothek in Wien erneut entdeckt worden. „So versank der Band im Dornröschenschlaf des Magazins.“

Und so überstand er auch den Zweiten Weltkrieg. Nach Bombenangriffen brannte die Universitätsbibliothek aus. Große Teile des wertvollen Altbestandes allerdings waren im November 1942 ausgelagert worden – auch der unscheinbare Geometrieband. In einer Luftschutzkiste mit der Nummer 340, so konnte Kuttner rekonstruieren, gelangte er zunächst nach Burghausen, später nach Niederviehbach bei Landshut. Er kehrte 1955 nach München zurück und wurde eine Zeit lang im Nordostspeicher der LMU zwischengelagert.

Über die Herkunft der Globussegmentkarte gibt es bislang keine gesicherten Erkenntnisse, räumt Kuttner ein. Der eine Geometrie-Druck stammt aus dem Vorbesitz des Klosters Oberalteich, aus dessen Bibliothek gut 1400 Bände im Zuge der Säkularisation 1803 in die Universitätsbibliothek in Landshut gelangten.

Die Karte könnte aber auch in einem Zusammenhang mit dem Exemplar der „Cosmographiae Introductio“ stehen, das die Universitätsbibliothek besitzt. Der einzigartige Frühdruck mit einer zweiseitigen, in flüchtiger Federzeichnung mit Flächenkolorit ausgeführten handschriftlichen Weltkarte stammt aus dem Besitz des Schweizer Humanisten und Universalgelehrten Heinrich Loriti Glareanus (1488 – 1563). Glareans Bibliothek erwarb der spätere Augsburger Bischof Johann Egolph von Knöringen (1537 – 1575) während seiner Freiburger Studienzeit; er vermachte seine über 6000 Bände zählende Bibliothek als Stiftung 1573 der Universitätsbibliothek Ingolstadt, dem Vorläufer der Münchner Universitätsbibliothek.

„Auch im digitalen Zeitalter verlieren die Originale nichts von ihrer Bedeutung und Einzigartigkeit. Schätze wie die jetzt entdeckte Karte kann nur heben, wer mit den Originalen arbeitet“, sagt Klaus-Rainer Brintzinger, der Direktor der Universitätsbibliothek, und fügt an: „Wir stellen die Karte in digitaler Form der Öffentlichkeit zum 4. Juli zur Verfügung – dem Tag der amerikanischen Unabhängigkeit.“

Link: Digitales Kartenwerk in „Open Access LMU“ »

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