25.10.2021 — Malte Struckmann. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Kaum hat man diesen Gedanken gefasst, geht man online und bekommt direkt Werbung für die neueste Besteckkollektion in seine Filterblase geliefert. Zugegeben: Es ist schon bequem, und wer bekommt nicht gern Pakete nach Hause geliefert? Trotzdem schleicht sich das seltsame Gefühl ein, dieses Internet verstehe die Bedürfnisse des geneigten Non-Digital-Natives besser als er oder sie selbst. Den Algorithmen sei Dank haben wir immer mal wieder einen dieser Momente, in denen Virtualität und Realität verschwimmen. Willkommen in der Matrix! Erkenne die Wahrheit, es ist nicht der Löffel der sich verbiegt. Wem es noch nicht erstaunlich genug ist, dass Algorithmen unsere Bedürfnisse vorausberechnen, der kann vielleicht bald von KIs geschaffene Gemälde im Museum bestaunen oder sich auf ein KI-Konzert begeben. Denn Kunst ist keine speziell menschliche Angelegenheit mehr.
2018 ließ das französische Künstlerkollektiv Obvious ein Gemälde von einer künstlichen Intelligenz erstellen. Das Bild mit dem Titel Portrait of Edmond de Belamy zeigt einen Mann in einem dunklen Anzug, das Gesicht etwas verschwommen. Die Optik erinnert an Ölfarbe. Ob dies nun als Kunst zu bezeichnen ist, sei dahingestellt. Sicher ist jedenfalls, dass es Abnehmer für diese Art von Werken gibt. Das Gemälde kam bei dem Auktionshaus Christie‘s für 432.500$ unter den Hammer, obwohl der Schätzwert bei 7.000$ bis 10.000$ lag. Es ist nicht das erste Erzeugnis von Obvious. Es gibt schon mehrere Portraits der fiktiven Familie Belamy, jedoch ist das von Edmond das erste von einer künstlichen Intelligenz geschaffene Bild, welches jemals versteigert wurde. Signiert ist es mit dem Algorithmus, der das Bild erstellt hat.
Bei der Herstellung des Bildes arbeiteten Obvious mit einer KI namens GAN (General Adversarial Network). Dabei handelt es sich, nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns, um zwei neuronale Netzwerke, die in der Lage sind gegenseitig zu belehren. GAN wurde mit einem Trainingsset an Daten gefüttert, welches aus Gemäldedarstellungen vom 14. bis zum 20. Jahrhundert bestand. Das erste Netzwerk, der Generator, erzeugt Ausgaben aus den eingespeisten Daten. Das zweite Netzwerk, der Discriminator, versucht zwischen den ursprünglich eingespeisten Daten und den Ausgabedaten des Generators zu unterscheiden. Die Daten, die der Generator erzeugt, werden vom Discriminator zurückgesendet. Damit dies nicht geschieht und die generierten Daten den Discriminator passieren können, versucht der Generator möglichst Daten zu generieren, die sich mit den ursprünglich eingespeisten Daten decken. Ob das Gemälde nun Kunst ist oder nicht, das sei dahingestellt. Doch sicher ist, dass es offenbar Interessenten gibt, die hohe Summen für maschinell erstellte Kunstobjekte bezahlen.
Im September 2021 hat eine künstliche Intelligenz Beethovens unvollendete 10. Symphonie vollendet. Bereits im April desselben Jahres geisterten „The Lost Tapes of Club 27“ durch das Internet. Songs, die nie geschrieben, sondern im Stile von Nirvana, Amy Winehouse, den Doors und Jimi Hendrix, von einer KI arrangiert wurden, um auf das Thema der psychischen Gesundheit bei Musikern hinzuweisen. Der Mythos des Club 27 entstand durch den Zufall, dass viele große Künstler, wie die schon genannten, mit 27 starben. Die von der KI generierten Songs sollen zeigen, was diese noch hätten vollbringen können. Die Musik stammt von digitalen Instrumenten. Die Songtexte wurden nicht von der KI geschrieben, sondern vom ausführenden Team, das sich an typischen Formulierungen der Künstler orientierte. Auch der Gesang ist menschlich. Es wurde mit Sängern aufgenommen, deren Stimmen nahe an die der Originale heranreichen.
Im Falle von Beethovens 10. Symphonie gab es ein Team bestehend aus Musikwissenschaftlern und KI-Experten. Diese fütterten die KI mit Daten, wie Notizen, Skizzen, Streichquartette und Symphonien aus der Feder des Meisters sowie mit Partituren seiner Zeitgenossen. 40 Fragmente sind es, die Beethoven hinterlassen hat. Die KI lieferte anhand der eingespeisten Vorschläge, wie die unvollendeten Teile vollendet werden könnten. Die Experten schauten sich die Varianten an, wählten aus diesen aus und speisten die Entscheidungen wieder ins System der KI ein. So war es keine autonome KI, die einfach mal eben Beethovens Symphonie vollendet hat. Laut dem durchführenden Team soll das Projekt als ein Beispiel für eine gelungene Interaktion von Mensch und Maschine gesehen werden.
Die vermeintlich niedrige Schwelle, die menschliche Fähigkeiten von maschinellen Fähigkeiten trennt, ist gar nicht so niedrig. KIs sind noch weit davon entfernt dem Menschen eigentümliche Taten zu vollbringen. Zumindest auf dem Feld der Kreativität macht dem Menschen keine KI etwas vor. Doch abgesehen von der Frage des Verhältnisses von Mensch und Maschine, treten ganz neue materielle, juristische Gegebenheiten auf. Das Urheberrecht reagiert recht behäbig auf die Digitalisierung. Beethovens Musik ist gemeinfrei, da er mehr als 70 Jahre tot ist. Das Leistungsschutzrecht erstreckt sich hier nur auf konkret verlagsgebundene Aufnahmen. Die Musik selbst ist nicht geschützt.
Im Falle des Belamy-Portraits ist die Rechtslage schon schwieriger. Der Schöpfer des Codes, der die KI dazu befähigte das Gemälde zu produzieren, ist der KI-Künstler Robbie Barrat. Dieser hatte den Code als Open Source veröffentlicht. Das heißt, der Code kann beliebig kopiert, verändert und weiter gegeben werden. Barrat beschwerte sich nach der Auktion über die kommerzielle Verwendung seines Algorithmus, wehren konnte er sich dagegen aber nicht, da es keine eindeutige juristische Grundlage gibt. Der Philosoph Günther Anders hat mal von einem Imperativ gesprochen, der sinngemäß besagt, dass das was technisch möglich ist auch gemacht wird. So ist auch im Falle der KI-Kunst davon auszugehen, dass diese nicht wieder verschwinden wird. Das heißt, das Urheberrecht gerät mehr und mehr in Zugzwang, gerade in kommerzieller Hinsicht besteht hier Handlugsbedarf, wie das Beispiel des Belamy-Portraits gezeigt hat. So! Jetzt werden erstmal neue Löffel bestellt.
Quellen und Hintergründe:
Bild: Adrew Neel (Pexels, Pexels Lizenz)
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