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BGH: Vertragsstrafeverlangen kann rechtsmissbräuchlich sein

17.06.2024  — Rolf Becker.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass nicht nur eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich sein kann, sondern auch das Verlangen einer Vertragsstrafe, wenn denn die Abmahnung zuvor rechtsmissbräuchlich ausgesprochen wurde (BGH, Urt. vom 07.03.2024, Az.: I ZR 83/23 – Vielfachabmahner II). Rechtsanwalt Rolf Becker aus Alfter erläutert die Entscheidung.

5.000 € Vertragsstrafe

Geklagt hatte hier ein als Verein eingetragener Interessenverband von Online-Unternehmen gegen einen Händler, der insbesondere Haushaltswaren auf der Handelsplattform Amazon anbietet.

Schon im Juli 2020 wurde der Händler vom klagenden Verband wegen behaupteter Wettbewerbsverstöße bei der Präsentation der Waren abgemahnt. Fünf Tage später gab der Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die der Abmahnung bzw. der darin beispielhaft aufgeführten Unterlassungserklärung entsprach. Der Kläger nahm diese an. Ende März 2021 forderte der Verband dann wegen eines Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung die Zahlung einer Vertragsstrafe von 5.000 EUR.

Anfechtung und Kündigung Unterlassungsvertrag

Der beklagte Händler erklärte die Anfechtung der Unterlassungserklärung und kündigte hilfsweise den Unterlassungsvertrag. Daraufhin erhob der Verband Klage auf Zahlung nebst Zinsen. Das Landgericht wies die Klage ab und das Oberlandesgericht (OLG Hamm) wies die Berufung zurück. Der Verband ging in Revision vor dem Bundesgerichtshof.

Der BGH zeigte sich jedoch jetzt mit der vom Berufungsgericht aufgeführten Begründung nicht zufrieden. Allerdings bestätigte er noch einmal, dass die Geltendmachung einer Vertragsstrafe wegen eines Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung aus einem aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung geschlossenen Unterlassungsvertrag der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen kann. Dies hatte er bereits im Urteil vom 14. Februar 2019 (BGH, 1 ZR 6/17) ausgeurteilt. Für die Frage sei eine Beurteilung nach Treu und Glauben erforderlich. Dabei sei im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu prüfen, ob das Verhalten des Abmahnenden vor, bei oder nach der Abmahnung den Schluss rechtfertige, dass die Geltendmachung des Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt. Dabei können die Umstände, die nach § 8 c Abs. 1 UWG einen Rechtsmissbrauch begründen, auch im Rahmen der Prüfung des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB herangezogen werden. Insbesondere dann, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder der Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen, kann ein Rechtsmissbrauch vorliegen. Die Rechtsprechung fordert so genannte sachfremde Gesichtspunkte. Diese müssen nicht einmal das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Die sachfremden Ziele müssen allerdings überwiegen. Hiervon geht die Rechtsprechung aus, wenn bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Es ist also schädlich für Abmahner, wenn diese es bei einer Abmahnung belassen.

Begründung reichte im konkreten Fall nicht aus

Der Bundesgerichtshof stellte jetzt klar, dass allerdings hier allerdings auch Grenzen bestehen. Ein Verband darf Kostenrisiken des Vorgehens gegen Wettbewerbsverstöße abschätzen und begrenzt halten. Damit darf ein Verband auch schon einmal auf die weitere Verfolgung von Verstößen verzichten. Allerdings hat auch dies wieder Grenzen insbesondere, wenn die Gewinnoptimierung wieder in den Vordergrund tritt.

1.667 nicht verfolgte Fälle

Das Berufungsgericht hatte festgestellt, dass der Kläger in 2020 3.520 Abmahnungen ausgesprochen hatte. Darauf wurden 1.325 Unterlassungserklärungen abgegeben und 528 Fälle gerichtlich verfolgt. Es blieben 1.667 Abmahnungen, bei denen der klagende Verband nicht nachhakte und diese vor Gericht brachte. Dies waren 47 % der Fälle. 2017 betrug diese Quote 9 % und 2018 wieder 34 % und in 2019 57 %. In 2021 betrug die Quote 19 %.

Insbesondere die Begründung des OLG Hamm, wonach die unstreitig große Anzahl der Fälle, in denen der Kläger nicht nur im Jahr 2020 Abmahnungen ausgesprochen habe, ohne bei Ausbleiben einer Unterwerfungserklärung eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, sei ein entscheidendes Indiz dafür, dass es um Aufwendungsersatz und Vertragsstrafeansprüche gegangen sei, ließ der BGH so allein nicht gelten. Das Berufungsgericht habe die vom Kläger aufgeführten Gründe für die unterbliebene gerichtliche Weiterverfolgung rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen und im Urteil nicht behandelt.

Nichtverfolgung bei Tod und Insolvenz nicht sachfremd

Der klagende Verband hatte vorgetragen, dass sich die nicht weiter verfolgten Abmahnungen zum Beispiel durch Geschäftsaufgabe, Tod des Inhabers, Wechsel des Inhabers, Unzustellbarkeit und dauerhafte Abschaltung von Webseiten, Wechsel des Warensortiments, Insolvenz und soziale Aspekte erledigt hätten. Zwar entfällt bei solchen Umständen bei einer Abmahnung nicht die Wiederholungsgefahr. Für die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit finden solche Aspekte dennoch Gehör, denn dabei geht es eben um sachfremde Ziele. So ganz sachfremd waren aber diese Aspekte nicht bei der Beurteilung, warum der Verband hier nicht weiter gerichtlich vorgegangen war. Bei dem Verzicht eines Vorgehens aus sozialen Gründen oder bei der Unzustellbarkeit von Schriftstücken oder bei Insolvenz kann es aus Sicht der Karlsruher Richter durchaus angezeigt sein, auf eine weitere Verfolgung zu verzichten.

Damit tritt die Vermeidung von Kostenrisiken nicht in den Vordergrund, sondern berücksichtigt in angemessener Weise die Vereinszwecke. Für den Verband sprach auch, dass er fast 28.000 EUR Ordnungsgelder zugunsten der Staatskasse erzielt hatte. Der BGH rügte noch weitere Mängel des Urteils bzw. seiner Begründung, weil sich aus seiner Sicht das Gericht nicht ausreichend mit bestimmten Punkten auseinandergesetzt hatte.

Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung

Der BGH wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück und gab den dortigen Richtern einen Fahrplan auf („Road-Map“) mit auf den Weg, aus der sich erahnen lässt, dass hier eventuell doch Rechtsmissbrauch angenommen werden kann, aber dieser mit einer entsprechenden Begründung und Auseinandersetzung der Umstände verbunden sein muss.

Fazit

Auch wer eine Unterlassungserklärung unterschrieben hat, steht einem späteren Vertragsstrafeverlangen nicht hilflos gegenüber, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass schon die Abmahnung rechtsmissbräuchlich war. Vielfach geben Betroffene wegen der kurzen Fristen voreilig Unterlassungserklärungen ohne anwaltlichen Rat ab oder die Unterlassungserklärung wird noch in Unkenntnis des Ausmaßes einer bestimmten Abmahntätigkeit abgegeben. Meist ergibt sich dann erst später das Wissen um Umstände, die einen Rechtsmissbrauch rechtfertigen. Der BGH hat jetzt noch einmal klargestellt, dass auch einem späteren Vertragsstrafeverlangen ein Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden kann. Im konkreten Fall fehlte dem BGH eine Auseinandersetzung mit wohl einigen Punkten, die für einen Rechtsmissbrauch sprechen könnten. Die vom OLG Hamm aufgeführten Gründe reichten dem BGH jedenfalls so nicht. Vielleicht werden wir von dem Fall noch einmal hören.

Bild: Romain Dancre (Unsplash, Unsplash Lizenz)

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