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Arbeits- und Gesundheitsschutz erreicht atypisch Beschäftigte oft nicht

20.05.2015  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.

Der Arbeitsschutz hat mit den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nicht Schritt gehalten: Bei atypisch Beschäftigten wie Werkvertragsbeschäftigten, Minijobbern oder Leiharbeitern greifen viele Instrumente oft nicht, ergibt eine neue Analyse.

Die klassische Arbeitssicherheit gelte hierzulande als gut aufgestellt, schreiben Dr. Karina Becker und Thomas Engel. Bei der Unfallprävention habe es Verbesserungen gegeben und auch in die betriebliche Gesundheits­förderung komme Bewegung hinein. Allerdings profitierten nicht alle Arbeitnehmer von diesen Fortschritten: Bei atypisch Beschäftigten gebe es gravierende Defizite. Das schließen die Soziologen von den Universitäten Trier und Jena aus Befragungsdaten und Fallstudien, in die auch Ergebnisse eines von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekts eingeflossen sind.

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Rechtlich seien Leiharbeiter, Minijobber oder Werkvertragsbeschäftigte beim Arbeitsschutz zwar den Normalarbeitnehmern weitgehend gleichgestellt, so die Wissenschaftler in ihrer Analyse, die in der aktuellen Ausgabe der WSI-Mitteilungen erschienen ist. In der Praxis ergäben sich aber erhebliche Schwierigkeiten. So seien atypisch Beschäftigte aufgrund kurzer Einsatzzeiten oft von Arbeitsschutzroutinen wie regelmäßigen Unterweisungen ausgeschlossen. Zudem gebe es Mängel bei der Betreuung durch Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte. Bei der Leiharbeit erweise sich als problematisch, dass Ver- und Entleiher gemeinsam Verantwortung für die Sicherheit tragen. Das führe dazu, dass sich in vielen Fällen niemand zuständig fühlt.

Dass Beschäftigungsform und Gesundheitsschutz eng zusammenhängen, können die Forscher anhand von Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belegen. Nach ihren Berechnungen sinken die Standards mit wachsendem Abstand zum Normalarbeits­verhältnis. Von den befragten Erwerbstätigen mit unbefristetem Vollzeitjob geben 57 Prozent an, dass ihr Betrieb Gefährdungsbeurteilungen durchführt, 58 Prozent berichten von Gesundheitsförderung. Bei Teilzeit- oder befristet Beschäftigten sind es jeweils 43 Prozent. Von den Leiharbeiterinnen und Leihabeitern profitieren lediglich 47 Prozent von Gefährdungsbeurteilungen, nur 29 Prozent von Maßnahmen zur Gesund­heitsförderung. Beschäftigte, die in mindestens drei Kriterien vom Normalarbeitsverhältnis abweichen – zum Beispiel Geringverdiener mit Teilzeit und Befristung – kommen zu 32 Prozent in den Genuss von Gefähr­dungs­beurteilungen, nur 21 Prozent haben Zugang zu Gesundheitsförderung. Noch schlechter sehen die Werte bei Soloselbstständigen mit Niedriglohn aus.

„Mitglieder prekärer Randbelegschaften und andere atypisch Beschäftigte“ seien „von vielen Errungenschaften der Arbeitssicherheit und Gesundheitsprävention ausgeschlossen“, konstatieren die Wissenschaftler. Dabei spiele auch eine Rolle, dass sie im Vergleich zur Stammbelegschaft weniger oder gar keine Mitbestimmungsrechte hätten.

Wie die Unterminierung von Arbeitsschutzstandards konkret abläuft, stellen Becker und Engel im Rahmen zweier Branchenfallstudien exemplarisch dar. Zum einen haben sie sich der Schlachtindustrie angenommen, die einen Verdrängungswettbewerb über knapp kalkulierte Preise und Kostenreduzierung austrägt und dabei insbesondere auf Leiharbeit und Werkverträge setzt. Mittlerweile sei in vielen Schlachthöfen nur noch jeder Zehnte regulär beschäftigt. Viele der atypisch beschäftigten Fleischer aus Osteuropa versuchten, das karge Lohnniveau durch Arbeitstage von zwölf bis 14 Stunden auszugleichen. Dieses gesundheitsverschleißende Verhalten sei durch die überbetriebliche Arbeitsaufsicht angesichts fehlenden Personals kaum einzudämmen. Die Arbeitgeber wiederum hätten wenig Interesse an einem nachhaltigen Umgang mit Arbeitskräften, weil sie stets auf eine „migrantische Reservearmee“ zurückgreifen könnten. Gemäß der Logik von Werkverträgen seien die Dienstleister für Personalplanung und Arbeitsschutz zuständig, Kontrollen durch die Einsatzunternehmen fänden nicht statt, Unfälle würden nicht erfasst. Obwohl das Gesetz wirksamen Schutz für alle Beschäftigten vorsehe, seien entsandte Beschäftigte in vielen substanziellen Aspekten davon ausgeschlossen, kritisieren die Autoren.

Mit erheblichen Missständen haben der Analyse zufolge auch Migrantinnen zu kämpfen, die im Bereich der häuslichen Pflege arbeiten. Da Kontrollmechanismen fehlen, seien arbeitsrechtliche Normen in Privat­haushalten kaum durchzusetzen. Zudem arbeite das Gros der Beschäftigten in einer gesetzlichen Grauzone, was ihre rechtliche Position zu-sätzlich schwäche. Viele Migrantinnen seien vollständig vom „Gutdünken“ der Familien abhängig, für die sie tätig sind. Diese Konstellation kann drastische Konsequenzen für den Arbeits­schutz haben: Einer der befragten Pflegekräfte wurde beispielsweise verschwiegen, dass ihre Patientin mit einem multiresistenten Keim infiziert war. All das deute darauf hin, dass sich auf der „Rückseite“ unserer Arbeitsgesellschaft ein neuer ungeschützter Bereich von Erwerbsarbeit jenseits der betrieblichen Organisation etabliert hat. Das Schutzniveau des Normalarbeitsverhältnisses sei für diese Arbeit nahezu bedeutungslos.


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