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AGG-Hopper sind vom AGG nicht geschützt

22.08.2016  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August 2006 – also vor fast 10 Jahren – prophezeiten viele Arbeitgeber eine regelrechte Klagewelle von sogenannten AGG-Hoppern, die sich nur zum Schein auf eine Stelle bewerben, um nach erhoffter Ablehnung eine Entschädigung geltend zu machen.

I. Einleitung

Der EuGH (Urt. v. 28.07.2016 – C-423/15) hat nun die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als europarechtskonform bestätigt, wonach solche Scheinbewerber keinen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung nach dem AGG geltend machen können.

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II. Sachverhalt

Der Kläger, Arbeitsrechtler Nils Kratzer, hatte sich im konkreten Fall auf eine Trainee-Stelle bei der R + V Allgemeine Versicherung beworben und wurde abgelehnt. Da die R + V einen Trainee gesucht hatte, dessen Hochschulabschluss nicht länger als ein Jahr zurücklag, fühlte er sich u. a. wegen seines Alters diskriminiert, weil sein Hochschulabschluss schon mehrere Jahre zurücklag. In seiner Bewerbung für die Trainee-Stelle hatte er betont, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Nachdem der Kläger am 11.06.2009 schriftlich einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht hatte, lud ihn die Beklagte für Anfang Juli 2009 zu einem Vorstellungsgespräch bei ihrem Personalleiter ein. Sie sagt, die Absage sei „automatisch generiert“ worden und habe so nicht den Intentionen entsprochen. Der Kläger lehnte die Einladung zum Vorstellungsgespräch ab und schlug vor, nach Erfüllung des von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruchs dann „sehr rasch über meine Zukunft bei der Versicherung“ zu sprechen.

Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung in Höhe von EUR 14.000,00. Das Arbeitsgericht Wiesbaden und das LAG Hessen wiesen die Klage ab. Auch das BAG hielt die Revision für unbegründet, da der Kläger sich aus Sicht des BAG nicht ernsthaft auf die Stelle als Trainee beworben habe. Dies folgerte das BAG daraus, dass die Betonung der vielfältigen Führungserfahrung nicht für eine Trainee-Stelle passe. Zum anderen ergebe sich dies aus der Tatsache, dass der Kläger nach einer ersten Ablehnung eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ausgeschlagen habe. Das BAG rief jedoch den EuGH an, um zu klären, ob die europäischen Richtlinien dahingehend auszulegen sind, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Zudem fragte das BAG, falls die erste Frage bejaht werde, ob Entschädigungsansprüche von Scheinbewerbern nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden können.

III. Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat die bisherige Rechtsprechung des BAG als europarechtskonform bestätigt. Die europäischen Richtlinien seien nicht dahingehend auszulegen, dass sie auch Scheinbewerber schützen. Zudem könnten Entschädigungsansprüche von Scheinbewerbern auch als rechtsmissbräuchlich bewertet werden.

Aus Artikel 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 EG sowie Artikel 1 Abs. 2 Buchst. a und Artikel 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 EG ergebe sich, dass diese Richtlinien für Personen gelten, die eine Beschäftigung suchen. Bei einer Person, die nur zum Schein eine Stellenbewerbung einreiche, sei jedoch offensichtlich, dass sie die Stelle, um die sie sich formal bewerbe, gar nicht erhalten wolle. Daher könne sie sich nicht auf den durch die Richtlinien 2000/78 EG und 2006/54 EG gewährten Schutz berufen. Eine andere Auslegung wäre unvereinbar mit dem von diesen Richtlinien verfolgten Ziel zu gewährleisten, dass jeder „in Beschäftigung und Beruf“ bzw. „in Arbeits- und Beschäftigungsfragen“ gleichbehandelt werde, indem den Betroffenen ein wirksamer Schutz gegen bestimmte Diskriminierungen u. a. beim Zugang zu Beschäftigung geboten werde.

IV. Praxishinweis

Die deutschen Arbeitgeber können aufatmen. Der EuGH hat die bisherige Rechtsprechung des BAG zu Scheinbewerbern – also sogenannten AGG-Hoppern – als europarechtskonform bestätigt. Das BAG hat bislang Entschädigungsansprüche von Scheinbewerbern abgelehnt und kann diese Rechtsprechung nun fortsetzen. Hätte der EuGH anders entschieden, hätte er das Geschäftsmodell der AGG-Hopper legitimiert und es wäre eine Klagewelle zu befürchten gewesen.

Der effektivste Schutz vor AGG-Hoppern bleibt jedoch, Stellenausschreibungen geschlechts- und altersneutral auszuschreiben (§ 11 AGG) und die Prüfpflichten bei der Agentur für Arbeit hinsichtlich schwerbehinderter Menschen (§ 81 Abs. 1 SGB IX) zu beachten. Das BAG hat in dem Vorlagebeschluss erneut die Ansicht vertreten, dass auf eine Scheinbewerbung nicht bereits daraus geschlossen werden könne, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe. Insofern bleibt es in der Praxis schwierig, Scheinbewerbungen zu enttarnen.


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