02.05.2016 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft.
Büroarbeit – knapp 40 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland verdienen damit ihr tägliches Brot. Manche sitzen dabei in modernen, andere in bereits älteren Räumen, in Großraum- oder in Einzelbüros, in kleinen oder größeren Unternehmen. Einige arbeiten kreativ, andere operativ und bei vielen wechseln die Aufgaben im Laufe eines Arbeitstages. Doch letztlich sollen sie alle effizient und leistungsorientiert ihren Job erledigen können. Dass Raum- und Arbeitsplatzgestaltung maßgeblichen Einfluss auf Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit haben, ist wissenschaftlich längst bewiesen, und doch werden – trotz normgerechter Ausführung – viele der rund 17 Millionen Büroarbeitsplätze in Deutschland den Bedürfnissen moderner Arbeitsanforderungen nicht gerecht. Reizüberflutung, Verlust von Privatsphäre, Ablenkung und Stress sind nicht selten das Ergebnis. Für den Arbeitgeber spiegelt sich dies dann in Unzufriedenheit, schlechterer Arbeitsleistung und einer höheren Fehlerquote sowie einem erhöhten Krankenstand des Personals wider. Im schlimmsten Fall ist die Konsequenz gar eine gesteigerte Mitarbeiterfluktuation.
„Menschen in Räumen“ ist einer der aktuellen wissenschaftlichen Schwerpunkte des Fraunhofer IBP und des angegliederten gleichnamigen Promotionskollegs der Universität Stuttgart. Ingenieure, Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler beschäftigen sich dabei mit den verschiedenen Parametern, die ein optimales Wohlbefinden gewährleisten. Sie erforschen interdisziplinäre Lösungen für Gebäude und Technik, die Wirtschaftlichkeit von Immobilien sowie die Auswirkungen von Räumen auf den Menschen und seine Arbeitsleistungen. Studien ergaben zum Beispiel, dass helle Umgebungen mit 1500 Lux logisches Denken unterstützen, bei kreativen Aufgaben hingegen dunklere Bedingung mit gerade mal 150 Lux fördernd wirken.
Um insbesondere für den Bürosektor eine interdisziplinäre FuE-Plattform zu schaffen, hat das Fraunhofer IBP die Fraunhofer Büro-Initiative ins Leben gerufen und dazu auch Unternehmer, Büroplaner und -betreiber sowie Institutionen und Behörden mit ins Boot geholt. „Durch Neubau und Sanierung wächst in Deutschland die Bürofläche jährlich um fast drei Millionen Quadratmeter. Die Gebäude sind dabei zunehmend wirtschaftlich, energieeffizient, automatisiert und letztlich zertifiziert. Und dennoch zeigt die Praxis, dass die sichtbare, hör- und spürbare Umwelt mit den Bedürfnissen und Erwartungen der dort arbeitenden Menschen kollidiert. Dem wollen wir mit unserer Büro-Initiative entgegenwirken“, erklärt Institutsleiter Prof. Dr. Philip Leistner das Engagement. Dass bei der Nutzung von Bürogebäuden rund 80 Prozent der Kosten für die Mitarbeiter aufgewendet werden und nur knapp 20 Prozent für Technik, Betrieb, Gebäude und Einrichtung, unterstreicht nur einmal mehr die Bedeutung des Faktors Mensch, der in der heutigen Zeit immerhin 90 Prozent seines Lebens in geschlossenen Räumen verbringt.
Der Trend zum Großraumbüro ist nicht nur der Maximierung der Flächeneffizienz geschuldet. Architekten und Arbeitgeber erhoffen sich davon auch eine erhöhte Kommunikation unter den Mitarbeitern. Offenbar erleben die Nutzer diesen räumlichen Rahmen aber häufig als Beeinträchtigung ihrer Konzentrationsfähigkeit und Privatsphäre. Das wiederum kann beim Mitarbeiter zu erhöhtem Stress führen und er muss zusätzlich Ressourcen aufbringen, um diese äußeren Störfaktoren zu kompensieren.
„Um dem Büronutzer ein möglichst optimales Arbeitsumfeld zu bieten, ohne dabei die Wirtschaftlichkeit der Räumlichkeiten aus den Augen zu verlieren, stellen wir uns in der Büro-Initiative wichtigen Kernfragen“, erklärt Philip Leistner. „Darunter fallen zum Beispiel: Welche Ausstattungsmerkmale müssen Büroflächen aufweisen, um rentabel und langfristig vermietet werden zu können? Wie soll die Schnittstelle zwischen Gebäude (Investor), technischer Ausrüstung (Betreiber) und Inneneinrichtung (Nutzer) gestaltet werden, damit gesunde und leistungsfördernde Arbeitsplätze entstehen? Mit welchen Mitteln kann die Balance zwischen Flächenwirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Büroarbeiter gefunden werden? Und wie lassen sich Konzentration und Kommunikation am Arbeitsplatz gleichzeitig gewährleisten?“
In einem ersten Schritt wurden die Anforderungen erfasst und definiert. Dies erfolgte anhand von Befragungen, aber auch durch Messungen in Bestandsimmobilien. Im „High Performance Indoor Environment (HiPIE)“-Labor am Fraunhofer IBP in Stuttgart wurden mit psychologisch-bauphysikalischen Methoden weitere Erhebungen und Untersuchungen durchgeführt, wissenschaftliche Arbeiten zur psychologischen Messmethodik ergänzten die Vorbereitungen. Zu den wichtigsten Parametern, die den Arbeitnehmer im Büro beeinflussen, zählen die Akustik, das Raumklima – darunter fallen unter anderem die relative Luftfeuchtigkeit, die Temperatur und die Luftqualität – sowie die Beleuchtung. Diese Aspekte stehen nun für die Fraunhofer Büro-Initiative im Zentrum der Betrachtungen.
Aktuelle internationale Erhebungen zeigen, dass Büronutzer die Akustik als besonderen Störfaktor wahrnehmen. „Der ›leise Lärm‹ ist eine der Ursachen für die zunehmenden psychischen Belastungen im Büro“, weiß Dr. Andreas Liebl, Gruppenleiter für Psychoakustik am Fraunhofer IBP. In offen gestalteten Bürolandschaften ist das Risiko für Kurzzeiterkrankungen in der Belegschaft fast doppelt so groß wie in Einzel- oder Zweierbüros. In Studien fanden Wissenschaftler heraus, dass Gespräche, die eine Person inhaltlich nicht betreffen und ungewollt von ihr aufgenommen werden, die Leistungs- und Merkfähigkeit signifikant beeinträchtigen. Dabei werden selbst in einem raumakustisch behandelten Büro in einem Umkreis von zirka vier Metern rund um den „Sender“ die Kollegen, die eigentlich still arbeiten, massiv gestört. Ausschlaggebend für die Intensität der Störung ist in diesem Fall nicht die Lautstärke, sondern vielmehr die Verständlichkeit. Eine Möglichkeit, dieses Problem in einem Großraumbüro zu beheben, könnte beispielsweise die schallmaskierende Stehleuchte sein, die von Wissenschaftlern des Fraunhofer IBP gemeinsam mit ihren Kollegen der Stuttgarter NIMBUS GROUP entwickelt wurde. Maskierung bedeutet in diesem Fall: Es wird ein weiteres Geräusch abgestrahlt, das den störenden Sprachschall verdeckt und so dessen Verständlichkeit verringert. Schallschirmende Stühle oder Trennwände mit integrierten schallabsorbierenden Materialien sind ein weiterer Teil der Lösungen und Projekte, mit denen sich die Abteilung Akustik am Fraunhofer IBP beschäftigt. Normen und Richtlinien zu diesem Thema gibt es viele, doch wenn sich Planer und Architekten nur darauf verlassen würden, entstünden noch lange keine akustisch optimalen Büros. Im Gegenteil, manche Regularien stehen im Widerspruch zueinander und wurden zuletzt vor über 25 Jahren überarbeitet. „Daher erachten wir die Forschung im Austausch mit der Praxis als unglaublich wichtig“, betont Liebl in einer Zeit, in der gravierende Änderung in der Arbeitswelt und der Bürogestaltung stattgefunden haben und noch immer stattfinden.
Durch starres Befolgen aktueller Richtlinien und Festhalten an konventioneller Bürogestaltung ist auch im Bereich Raumklima den Veränderungen der flexiblem Büronutzug und -gestaltung nicht gerecht zu werden. Ein deutlicher Störfaktor in Büros ist schlechte Luftqualität. Ermüdung, Kopfschmerzen und Konzentrationsprobleme sind bekannte Auswirkungen von zu geringer Frischluftzufuhr und zu hohen CO2-Konzentrationen in der Raumluft. Einhergehend mit dem Luftwechsel ist auch die relative Luftfeuchte ein wichtiges Kriterium – gerade im Winter: Geringe Raumluftfeuchten beeinflussen die Anfälligkeit für Infekte, was schließlich zu vermehrten Fehlzeiten der Mitarbeiter führt. Im Rahmen verschiedener Raumklimauntersuchungen klagt meist knapp die Hälfte der Probanden über trockene Luft.
Eine Herausforderung in Büros mit mehreren Nutzern ist vor allem das subjektive Empfinden des Raumklimas. Während der eine schon friert, ist dem anderen immer noch zu warm. Was der Mann vielleicht als angenehm kühlenden Lufthauch empfindet, stört manche Frau als Zugluft. Soll die relative Feuchte durch niedrigere Temperaturen erhöht werden, steigt natürlich die Zahl der Frierenden. In der Folge müssen lokale Möglichkeiten geschaffen werden, um dies auszugleichen und motivierte Mitarbeiter zu erhalten. Aufgrund der verstärkten Nachfrage aktiver Befeuchtungsmaßnahmen zur Sicherung der Behaglichkeit für Bürogebäude mit mechanischen Lüftungsanlagen, besteht ein erhöhter Bedarf an energieeffizienten Raumluftbefeuchtungssystemen, die die Bedenken hinsichtlich ihrer Hygiene von Betreibern und Mitarbeitern berücksichtigen. Am Fraunhofer IBP wurde zu diesem Zweck in orientierenden Versuchen in der Arbeitsgruppe „Gebäudesystemlösungen“ aus der Abteilung „Energieeffizienz und Raumklima“ eine neue High-Tech Membran untersucht. Neben einer hohen Befeuchtungsleistung aufgrund ihrer selektiven Diffusion kann damit die Raumluft hygienisch befeuchtet werden, während kein Kontakt zwischen den Medien Luft und Wasser besteht und ein Keimaustausch verhindert wird. Um beispielsweise in Räumen mit vielen Nutzern eine individuelle und punktuelle Befeuchtung für den einzelnen Arbeitsplatz zu erreichen, entwickelten die Forscher einen Prototyp zur lokalen Klimatisierung unter Verwendung des „Vortex-Ring-Effekts“. Der damit erzeugte Luftwirbel hat eine minimale Interaktion mit der Umgebungsluft. Somit kann die konditionierte Luft große Distanzen überwinden und die mit Feuchte angereicherte Luft wird direkt in den Atembereich des Mitarbeiters gebracht.
Gerade im Sommer verkehrt sich jedoch oftmals die zu geringe Luftfeuchte ins Gegenteil. Warme und schwüle Luft macht der Bürobelegschaft das Arbeiten schwer. Eine innovative und auch auf dem Markt erhältliche IBP-Erfindung zur Raumklimatisierung mit Strahlungskühlung ist der Klimabrunnen. Das innovative Flächenkühlsystem verringert Strahlungstemperaturen mit einem gekühlten Wasserfilm. Dabei senkt sie durch Taupunktunterschreitung auch die relative Luftfeuchte im Raum erheblich und kann Staub und Pollen binden.
Die LED-Technik ist inzwischen aus modernen Beleuchtungskonzepten nicht mehr wegzudenken und ist fest am Markt etabliert. Die Frage, ob LED eingesetzt wird, stellt sich demnach nicht mehr, sondern nur noch wo und wie. Großflächige Lichtquellen mit reduzierten Leuchtdichten und neuen Gestaltungsmöglichkeiten beginnen bisherige Beleuchtungskonzepte zu ergänzen. Räume, die beispielsweise zu wenig oder kein Tageslicht hereinlassen, können mit künstlichen Fenstern ausgestattet werden. Dazu reproduzieren LEDs-Systeme beispielsweise das Spektrum des Sonnenlichts und ein optisches System sorgt für die realitätsnahe Wahrnehmung von „Himmel“ und „Sonne“.
Die Arbeitsgruppe „Lichttechnik und passive Solarsysteme“ bringt ihre Kompetenzen und Labors in die Büro-Initiative ein. Im Licht-Versuchslabor des Fraunhofer IBP finden Leistungs- und Nutzerakzeptanzstudien zur physiologischen und psychologischen Wirkung von Licht statt sowie die Erprobung neuartiger Beleuchtungskonzepte, wie beispielsweise die kontextsensitive Beleuchtung. Es wird untersucht, wie abgestimmt auf die Tätigkeit der Nutzer im Raum, die Beleuchtung mit gleicher oder höherer Akzeptanz energetisch effizienter betrieben werden kann. Die variable Steuerung von Tages- und Kunstlicht stellt einen weiteren Schwerpunkt dar. Kommt mehr Tageslicht ins Büro, dimmt sich das Kunstlicht automatisch und anders herum. Grundsätzlich ziehen Nutzer das Tageslicht dem Kunstlicht vor. Erhebliches Verbesserungspotenzial dazu liegt in den verschiedenen Sonnen- und Blendschutzsystemen. Im Fokus steht dabei die Auswirkung auf den der Bildschirmarbeitsplatz. Probleme, die nahezu alle Betroffenen kennen: der Sonnenschutz kommt meist nicht aus energetischen Gründen, sondern als Blendschutz zum Einsatz. Automatiken schalten ihn aber aus Gründen des Sonnenschutzes, was zu Unzufriedenheit und Ablenkung durch erforderliche manuelle Nachregulierung führt. Trifft zu viel Kunst- oder auf Sonnenlicht auf den Monitor, wird die dargestellte Information schlecht lesbar. Wie das Tageslicht möglichst intelligent im Büro genutzt wird, ist daher auch ein Aspekt, mit dem sich die Wissenschaftler beschäftigen.
Die Forscher am Fraunhofer IBP arbeiten an anwendungsorientierten Innovationen, sie entwickeln Berechnungs-, Simulations- und Analyseverfahren – häufig münden ihre Ergebnisse in neue patentierte Technologien und Produkte. „Für uns war es nur eine logische Konsequenz, unsere Möglichkeiten und Kompetenzen mit Partnern aus verschiedenen Bereichen zusammen zu bringen“, erklärt Leistner und fügt hinzu: „Gute Akustik oder behagliches Raumklima sind keine Selbstläufer. Vielmehr müssen wir in den Dialog mit dem Markt und seinen Akteuren gehen. Nur so werden wir wirklich etwas bewegen können.“