Femizide: „Unser Land hat ein massives Gewaltproblem gegen Frauen“

04.09.2024  — Samira Sieverdingbeck.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Opfer häuslicher Gewalt haben noch immer zu wenige Hilfs- und Anlaufstellen in Deutschland. Die Konsequenzen davon sind schockierend: Jeden zweiten Tag stirbt eine Frau durch einen Femizid, meist durch den Partner oder Ex-Partner. Zwei tödliche Angriffe auf Frauen in Berlin lenken erneut Aufmerksamkeit auf das Thema Gewalt gegen Frauen.

Was bedeutet „Femizid“?

Am 28. September wird eine 36 Jahre alte Frau in Berlin erstochen – mutmaßlich von ihrem Ex-Mann. Nur zwei Tage später wird in der Hauptstadt eine 28 Jahre alte Frau erstochen – mutmaßlich von ihrem Ex-Partner. Beide Taten sind mutmaßlich als Femizide einzuordnen.

Der Begriff „Femizid“ bezeichnet tödliche Gewalt gegen Frauen, oft in Zusammenhang mit Sexismus und Misogynie. Meist werden Femizide von Partnern oder Ex-Partnern begangen. Ihre Motive sind mitunter patriarchales Hierarchiedenken und „Besitzansprüche“ – also die Überzeugung, die Partnerin habe sich dem Partner zu unterwerfen und sei sein Eigentum. Femizide werden deshalb besonders häufig in Trennungssituationen verübt, wenn die Frau sich dem Mann „entziehen“ möchte.

Laut dem Bundeskriminalamt wurden 2023 in Deutschland 155 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Im gleichen Zeitraum wurden 24 Männer Opfer tödlicher häuslicher Gewalt.

Lisa Paus fordert mehr Schutz

Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) findet deutliche Worte: „Unser Land hat ein massives Gewaltproblem gegen Frauen. Das muss aufhören.“ Sie plädiert für mehr Schutzplätze für Frauen und möchte das sogenannte Gewalthilfegesetz auf den Weg bringen, das Gewaltbetroffenen einen Anspruch auf Hilfe einräumen soll.

Kann die Fußfessel helfen?

Auch die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) zeigte sich schockiert: „Wir müssen endlich etwas gegen diese brutalen Morde von Männern an Frauen tun.“ Sie plädierte dafür, Fußfesseln zum Schutz vor Gewalt an Frauen stärker einzusetzen.

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht in der Fußfessel eine Möglichkeit, häusliche Gewalt einzudämmen, und ist offen für die Einführung. Jedoch ist das Polizeirecht und dadurch auch der Einsatz von Fußfesseln Ländersache. Ob auf Bundesebene Einfluss genommen werden kann, wird derzeit geprüft.

Der Linken-Politiker Niklas Schrader äußerte sich dem Tagesspiegel gegenüber jedoch kritisch zu diesem Thema. Schließlich würden Fußfesseln bereits als Maßnahme genutzt, jedoch könne z. B. nicht immer schnell genug Hilfe vor Ort eintreffen.

Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft GDP, bestätigte dies im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Information werde zentral in Hessen erfasst, bevor sie an Polizistinnen und Polizisten in Tatortnähe weitergegeben werde. „Ehe dann jemand vor Ort ist, ist es oft zu spät“, so Jendro. Darüber hinaus werde die Fußfessel zwar bereits eingesetzt, jedoch machten nur wenige Richterinnen und Richter davon Gebrauch.

Flächendeckendes Hilfsangebot fehlt

Auch der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF) schlug Alarm. Katja Grieger, Geschäftsführerin des Dachverbands BFF, sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa, insgesamt werde in Deutschland zu wenig Geld in den Schutz von Frauen investiert.

Betroffene von häuslicher Gewalt wenden sich meist an das nähere soziale Umfeld, so Grieger. Dann sei es besonders wichtig „solidarisch und unterstützend“ zu reagieren. Besonders betonte Grieger jedoch, dass betroffene Frauen professionelle Hilfe durch Beratungsstellen und ähnliche Angebote benötigten.

Zu einer ganzheitlichen Gewaltschutzstrategie verpflichtet auch die Istanbul-Konvention. Grieger betonte, dass diese bereits seit 2018 geltendes Recht in Deutschland sei. Die Konvention, ein Übereinkommen des Europarats, soll zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beitragen. Dazu verpflichtet sie die Vertragsstaaten zum Beispiel durch spezialisierte und barrierefreie Hilfeleistungen, den Einsatz von ausgebildeten Fachkräften und den Sofortschutz durch Näherungsverbote. Diese Form des Gefährdungsmanagements sei in Deutschland jedoch noch nicht flächendeckend, so Grieger.


Bereits im Juni 2024 zeigte ein aktuelles Lagebild einen Anstieg der Häuslichen Gewalt in Deutschland. Mehr dazu lesen Sie in unserem Bericht.

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