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Subjektiver Fehlerbegriff

13.07.2010  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs auf die Beurteilung von Rechtsfragen

Dem Großen Senat des BFH ist folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt worden (BFH- Beschluss vom 07.04.10, I R 77/08): Ist das FA im Rahmen der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in Bezug auf zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte bilanzrechtliche Rechtsfragen an die Auffassung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz zu Grunde liegt, wenn diese Rechtsauffassung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war?

Streitig ist, ob für Betriebsvermögensminderungen aus der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen ein aktiver RAP anzusetzen ist. Die Klägerin ist eine GmbH, deren Gegenstand die Konstruktion, die Herstellung und der Betrieb eines privaten, mobilen Zellularfunknetzes ist. Im Streitjahr 1996 bot sie ihren Kunden den verbilligten Erwerb eines Mobiltelefons für den Fall an, dass diese einen Mobilfunkdienstleistungsvertrag (MFD-Vertrag) mit einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten abschlossen oder einen bestehenden Vertrag entsprechend verlängerten. Die Preisermäßigung für das Mobiltelefon war von dem Hersteller und dem Gerätetyp sowie von der Höhe der monatlichen Grundgebühren im Rahmen des abgeschlossenen MFD-Vertrags abhängig.

Das FA war der Auffassung, zwischen den MFD-Verträgen und den Kaufverträgen über die Mobiltelefone bestehe eine wirtschaftlich enge Verknüpfung i.S. von Vertragsbündelungen. Die durch die verbilligte Abgabe entstandene Betriebsvermögensminderung sei daher im Rahmen eines aktiven RAP periodengerecht über die Laufzeit des MFD-Vertrags abzugrenzen. Die deswegen erhobene Klage hat das FG Düsseldorf als unbegründet abgewiesen. Sein Urteil vom 20. Mai 2008 6 K 3224/05 K,F ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1607 abgedruckt. Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen für die Bildung des aktiven RAP lägen nicht vor. Sie meint überdies, das FA sei an die in der eingereichten Bilanz zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, wonach der RAP nicht zu bilden sei, gebunden, weil das Unterlassen der Aktivierung angesichts der ungeklärten Rechtslage der kaufmännischen Sorgfalt nicht widersprochen habe.

Die Anrufung des Großen Senats erfolgt zur Klärung der im Leitsatz bezeichneten Frage, weil diese im Streitfall entscheidungserheblich ist und zugleich grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 11 Abs. 4 FGO hat. Der BFH teilt die Auffassung von FA und FG, wonach die Voraussetzungen für die Bildung eines aktiven RAP nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Streitfall gegeben waren.

Die Betriebsvermögensminderungen infolge der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen durch die Klägerin führen zu einer "Ausgabe" i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Eine solche setzt nach ständiger Rechtsprechung des vorlegenden Senats nicht notwendig einen Zahlungsvorgang voraus, sondern kann auch in der Buchung einer Verbindlichkeit bestehen. Aufgabe der Rechnungsabgrenzungsposten ist es, im Falle gegenseitiger Verträge, bei denen Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinander fallen, die Vorleistung des einen Teils in das Jahr zu verlegen, in dem die nach dem Vertrag geschuldete Gegenleistung des anderen Teils erbracht wird.

Nach dem Zweck des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist die Bildung eines aktiven RAP daher nicht auf Geldvermögensminderungen beschränkt; der Begriff der Ausgaben umfasst vielmehr auch wirtschaftlich gleichwertige Vermögensminderungen durch geldwerte Sachleistungen. Die durch die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone vor dem Abschlussstichtag erfolgte Ausgabe war Aufwand der Klägerin für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag. "Aufwand für eine bestimmte Zeit" ist in dem Sinne zu verstehen, dass einer Vorleistung eine noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht. Bei der Bestimmung der zeitraumbezogenen Gegenleistung ist nicht allein auf die zivilrechtliche Beurteilung der Schuldverhältnisse abzustellen; entscheidend ist vielmehr der wirtschaftliche Gehalt der damit zusammenhängenden Leistungsvorgänge.

Das Fehlen eines zivilrechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses ist daher unbeachtlich, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Vorleistung und der im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses zu erbringenden Leistung besteht. Die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone ist wirtschaftlich nicht nur eine Vorleistung für den Abschluss bzw. die Verlängerung des MFD-Vertrags; sie bezieht sich vielmehr auf den Zeitraum der Durchführung des auf eine Mindestlaufzeit von 24 Monaten abgeschlossenen MFD-Vertrags. Denn im Gegensatz zu Abschlussgebühren und Provisionszahlungen, die für den Vertragsabschluss bzw. für dessen Vermittlung geleistet werden, wird die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone durch Gegenleistungen finanziert, die im Rahmen des MFD-Vertrags zu erbringen sind.

Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung ist die vom Steuerpflichtigen beim FA eingereichte (Steuer-)Bilanz. Von dieser darf (und muss) das FA nur abweichen, wenn und soweit sie den GoB (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder den zwingenden bilanzrechtlichen Vorgaben des EStG nicht entspricht und deshalb fehlerhaft ist. Diese Erfordernisse für eine Abweichung von der eingereichten Bilanz durch das FA entsprechen nach Auffassung des vorlegenden Senats den Voraussetzungen, an die § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG die Zulässigkeit einer nachträglichen Änderung der Bilanz durch den Steuerpflichtigen (Bilanzberichtigung) knüpft.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Bilanzansatz nur dann im zuvor genannten Sinne fehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige den objektiv gegebenen Rechtsverstoß nach den Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, bezogen auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse, erkennen konnte. Dieser sog. subjektive Fehlerbegriff (der zum Teil auch als "normativ-subjektiver" Fehlerbegriff bezeichnet wird) gilt nach bisheriger Rechtsprechung nicht nur für Tatsachenkenntnisse, sondern auch für die Beurteilung der rechtlichen Verhältnisse. Das hat bei ungeklärten bilanzrechtlichen Zweifelsfragen zur Folge, dass sowohl der Bilanzierende als auch das FA an die eingereichte Bilanz gebunden sind, selbst wenn sich später aufgrund einer Entscheidung des BFH herausstellt, dass die Rechtsfrage anders zu beantworten ist. Diese Unklarheit hat der I. Senat des BFH nun dem Großen Senat zur Überprüfung vorgelegt.

Quelle: Udo Cremer

Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und
veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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